Snapchat – der Reiz des Vergänglichen
Über 500 ZuhörerInnen drängen sich vor der Stage 6 auf der re:publica 2016, um gleich Joshi zuzuhören. Joshi, eigentlich Joshua Arntzen, ist ein 14-jähriger Schüler, der den ganzen Erwachsenen „sein Internet“ erklären wird – und zu „seinem Internet“ gehört auch ganz eindeutig Snapchat.
Der Instant-Messaging-Dienst, mit dem Bilder und Videos (sog. Snaps) versendet und empfangen werden können, zählt aktuell zu den beliebtesten Apps in Deutschland, noch vor Twitter. Über 50 Prozent der NutzerInnen 2015 sind zwischen 16 und 24 Jahren alt, Tendenz steigend. Seine Besonderheit ist, dass Snaps sich nach einer bestimmten Anzahl an Sekunden zur Betrachtung selbst löschen. Darüber hinaus kann eine sogenannte Snapchat Story erstellt werden. In einer Story werden Bilder und Videos gesammelt, die immer wieder angesehen werden können, bis sie 24 Stunden nach der Veröffentlichung automatisch gelöscht werden.
Soviel zu den Grundlagen. Die Frage nach dem Grund für die unglaubliche Beliebtheit des Dienstes gerade unter jüngeren NutzerInnen, wird von Joshi, der über Skype zugeschaltet ist, so beantwortet: „Embedden, taggen, verlinken kann man bei Snapchat nicht. Das ist auch das Gute an Snapchat: Es gibt den ganzen Scheiß nicht.“
Snapchat ist der Ort für Inhalte, die man nie auf Facebook oder Instagram posten würde. Beispielsweise kurze Videos von der letzten Partynacht, der Face Swap mit dem Freund oder Impressionen aus der Dusche – Dinge, von denen man nicht unbedingt möchte, dass sie der zukünftige Arbeitsgeber beim obligatorischen Social Media Check findet.
Damit ignoriert die App ziemlich konsequent, was viele Menschen an anderen sozialen Netzwerken lieben. Wie die Inhalte, die sich einer digitalen Archivierung entziehen: Private Nachrichten sind nach ein paar Sekunden verschwunden, Storys nach einem Tag. Speichern in Form von Screenshots ist zwar möglich, widerspricht aber dem ungeschriebenen Ehrenkodex, wie Joshi erklärt, und das kann peinlich werden.
Der Reiz von Snapchat liegt in der Vergänglichkeit der Inhalte, die ihnen etwas Echtes und Unmittelbares verleiht, während z. B. Instagram durch seine immer perfekteren und durchgestylten Inszenierungen künstlich und nicht authentisch wirkt.
Das macht Snapchat zu einer Herausforderung für Unternehmen, die ihren KundInnen einen authentischen Auftritt präsentieren wollen, der nicht gleich als Werbung abgestempelt wird. Joshis Tipp: Am besten funktionieren da Kollaborationen mit bekannten Snapchat NutzerInnen, ähnlich wie es bereits mit Social Media Influencern auf YouTube gemacht wird.
Ob sich dadurch auch ähnliche Dynamiken ergeben werden wie bei YouTube ist eine andere Frage. Joshi jedenfalls entlässt sein Publikum mit folgendem Hinweis: „Jetzt, liebe Erwachsene, wisst ihr, was Snapchat ist. Tut uns Jungen nur einen Gefallen: Nutzt es nicht!“