Kleine Bitte um ein bisschen mehr Ruhe
Jetzt ist er also vorbei: Der International Noise Awareness Day oder auch: Der Tag der Ruhe. Grund genug, über den Beitrag nachzudenken, den wir Marketing-Menschen tagtäglich zur lärmenden medialen „Umweltverschmutzung“ leisten.
In Gruppen von kleinen Kindern lässt sich gelegentlich das Phänomen beobachten, dass jedes Kind im Ringen um die allgemeine Aufmerksamkeit die Stimme immer mehr und mehr erhebt, um alle Anderen zu übertrumpfen. Da alle das Gleiche tun ist die unausweichliche Folge: Ohrenbetäubender Lärm, bei dem niemand mehr etwas versteht.
Das Erstaunliche: Auch wir Marketer verhalten uns mehr und mehr wie kleine Kinder. Im Ringen um das „Gehör“ einer reizüberfluteten Öffentlichkeit werden Unternehmen und Agenturen lauter und lauter, schriller und schriller, um „durchzudringen“ und erzielen doch nur eine Wirkung:
Ohrenbetäubenden Lärm, bei dem niemand mehr etwas versteht.
Merkwürdig genug: Menschen, die im täglichen Leben höflich und rücksichtsvoll, zuvorkommend und aufmerksam sind, werden auf einmal zu Rüpeln, denen jedes Mittel recht und keine Provokation zu billig ist, wenn es darum geht, für Produkte und Ideen zu werben.
Umgekehrt ausgedrückt: Würden wir uns im täglichen Leben so verhalten, wie wir es häufig im Namen der Werbung für legitim halten, wir würden in kürzester Zeit als Soziopathen gemieden.
Dabei wissen wir doch spätestens seit Enzensbergers berühmtem Essay über den Luxus, dass Ruhe und Aufmerksamkeit in Zukunft vermutlich zu den am wenigsten verfügbaren Luxusgütern zu rechnen sein werden.
Enzensberger schreibt: „(Aufmerksamkeit) ist ein knappes Gut, um dessen Verteilung sämtliche Medien erbittert kämpfen. Im Gerangel von Geld und Politik, Sport und Kunst, Technik und Werbung bleibt wenig von ihr übrig. Nur wer sich diesen Zumutungen entzieht und das Rauschen der Kanäle abschaltet, kann selbst darüber entscheiden, was Aufmerksamkeit verdient und was nicht. Unter dem Trommelfeuer arbiträrer Informationen nehmen unsere sinnlichen und kognitiven Fähigkeiten ab; sie wachsen mit der Reduktion auf das und nur das, was wir selber sehen, hören, fühlen und wissen wollen. Auch darin kann man ein Moment von Luxus sehen.“
Es wäre schön, wenn es uns gelänge, mit unserer Disziplin einen kleinen Beitrag zu diesem Luxus zu leisten.
Nochmal bei Enzensberger nachlesen (Auszug – bitte runterscrollen) >>>