Inklusion oder nur Inszenierung – wie offen ist Obamas „Open Government“?

Eines der wichtigsten Wahlversprechen, das US-Präsident Obama gleich zu Beginn seiner Amtszeit einzulösen begann, war das eines „Open Government“. In einem Memoranduman alle Regierungsbehörden konkretisierte Obama Ende Januar, was er darunter versteht: Transparenz, Partizipation und Kollaboration. 

 

 

 

 

 

 

 

Das klingt alles sehr nach „Open Source Government“ und „Regierung 2.0“, wie es viele Netzpolitik-Aktivisten schon lange fordern. Doch wie übersetzt sich ein solcher Anspruch in konkretes Regierungshandeln? Welche Schritte in Richtung einer Öffnung hat Obama bisher unternommen?

Transparenz
  • Über mehrere elektronische Kanäle, gebündelt im sog. „Briefing Room“ kann man sich auf whitehouse.gov über die neue Präsidentschaft informieren: Es finden sich ein Blog (ohne Kommentarfunktion), ein You-Tube-Channel sowie eine Sammlung an Fotos und Textdokumenten. Für eine Regierungsseite ist das nicht schlecht gemacht, aber in der heutigen Zeit weiter nichts Besonderes.
  • Während der Übergangsphase gab es bereits ehrgeizigere Aktivitäten in Richtung Transparenz: Auf change.gov machte die Obama-Mannschaft beispielsweise alle von Lobbygruppen an sie herangetragenen Wünsche öffentlich zugänglich.

Partizipation

  • Unter „Join the Discussion“ auf change.gov konnten sich die Bürger zu einem vorgegeben Thema austauschen, u.a. über eine Reform des Gesundheitssystems oder über Maßnahmen zur wirtschaftlichen Erholung des Landes.
  • Bei „Open for Questions“ durften jedermann Fragen an das Übergangsteam stellen, die von anderen Nutzern bewertet und so in eine Rangfolge gebracht wurden. Am Ende beantwortete der Pressesprecher des Weißen Hauses die bestbewerteten Fragen in einem Video.
  • Bald wird es auf whitehouse.gov ein weiteres Partizipations-Feature, das Obama bereits im Wahlkampf und jetzt erneut angekündigt hat: Sämtliche Gesetzentwürfe (außer Notfall-Gesetzen) werden zukünftig für mindestens fünf Tage online gestellt und für Kommentare der Nutzer freigegeben, bevor der President sie unterschreibt.

Kollaboration

  • Auf Obamas ehemaliger Wahlkampf-Website, inzwischen in „Organizing for America“ (OFA) umbenannt, versucht man an den Obama-Wahlkampf anzuknüpfen. Dieser war vor allem deshalb so erfolgreich, weil er die Basisaktivisten einbezog und es ihnen ermöglichte, ihre Wahlkampfaktivitäten autonom zu planen und durchzuführen. In Analogie zu diesem Grassroots-Wahlkampf werden die Tausenden registrierten Unterstützer aus Wahlkampfzeiten nun zu sog. House Meetings aufgerufen. Hier treffen sich Nachbarn, um über ein neues Gesundheitssystem oder Wege aus der Wirtschaftskrise zu diskutieren. Die Ergebnisse werden ans OFA-Hauptquartier weitergeleitet.
  • Was die Umsetzung des Rettungspakets betrifft, setzt Obama ebenfalls auf die Kollaboration der Bürger. Eine Schwierigkeit bei diesem Mega-Investitionsprogramm besteht für die Regierung darin sicherzustellen, dass die bewilligten Gelder auch am gewünschten Ort ankommen – bei Tausenden von Investitionsprojekten ein gigantischer bürokratischer Aufwand. Warum da nicht die Bürger als Controller einsetzen? In Kürze soll mit Recovery.gov eine Internetseite online gehen, auf der jedermann die staatlichen Investitionsprojekte in seiner Umgehung einsehen und notfalls melden kann, wenn ihm Unregelmäßigkeiten bei der Mittelverwendung auffallen. Crowdsourcing in Reinkultur!

All diese Maßnahmen sind mehr oder weniger beeindruckende Signale, die Bürger tatsächlich immer stärker in das Regierunghandeln einzubeziehen. Besonders in den Fällen, wo dazu aufgerufen wird, Kommentare abzugeben und „die eigene Geschichte“ zu erzählen, sehe ich allerdings die Gefahr, viele engagierte Menschen zu enttäuschen. Welchen Einfluss haben ein paar Online-Kommentare kurz vor Verabschiedung eines Gesetzes, das womöglich monatelang im Kongress beraten wurde, tatsächlich? Wer wertet die riesige Zahl an Erfahrungsberichten überhaupt aus? Wie organisiert man die eingegangenen Beiträge so, dass sie zugänglich und nutzbar bleiben?
Dahinter stehen noch tiefer gehende Fragen: Bis zu welchem Grad ist es überhaupt sinnvoll und wünschenswert, dass Bürger in der beschriebenen Weise Einfluss auf Regierungshandeln nehmen? Entspricht es nicht der Verfassung und letztlich auch den Erwartungen der Bevölkerung, dass ein Präsident die Richtung vorgibt und Führungsstärke beweist? Es bleiben also Zweifel, ob Obama tatsächlich daran interessiert sein kann, Ideen aus der „Community“  zur Grundlage seines Handelns zu machen.

Man darf also gespannt sein, was Obama mit den eingereichten Beiträgen seiner Unterstützer eigentlich anfängt. Vermutlich wird er vor allem diejenigen „Stories“ für sich nutzen, die in das Drehbuch passen, das die Strategen im Weißen Haus längst festgelegt haben. Eine Bestätigung dieser Ahnung erhält, wer sich den sog. Host Guide für die Nachbarschaftstreffen anschaut. Wieder geht es zunächst darum, die eigene Story zu erzählen. Am Ende folgt aber die unverblümte Aufforderung an die Teilnehmer: „Commit to taking the next steps in your community to help push forward President Obama’s plan to jumpstart job creation and long-term economic growth.” Kritik am Rettungspaket ist also nicht angesagt. Vielmehr sollen die Unterstützer auf die längst beschlossenen Maßnahmen eingeschworen werden und in ihrem Umfeld dafür werben. Echte Bürgerbeteiligung, die sich auf politische Inhalte bezieht, sieht anders aus. Ob sich in Zukunft genügend Menschen finden werden, die in diesem Sinne „partizipieren“ und „kollaborieren“ wollen, bleibt abzuwarten.

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