Werben um die Meinungsführer – Wie wichtig sind Influentials im Wahlkampf?
Eine Wiedergeburt feierten die Theorie dann zu Anfang des neuen Jahrtausends:Malcolm Gladwell („The Tipping Point“) schreibt in seiner „Law of the Few“ einer eng umrissenen Personengruppen (unterteilt in „Connectors“, „Mavens“ und „Salesmen“) die Fähigkeit zu, einen überdimensional großen Einfluss auf andere zu nehmen und so soziale Epidemien loszutreten. In dieselbe Kerbe schlägt Edward Keller 2003 mit seinem Buch „The Influentials“, in dem er ein klares Profil dieser Personengruppe zeichnet. Beide Bücher wurden zu Standardwerken des Viralen Marketings, die These von den Influentials blieb lange unangefochten und wurde Allgemeingut unter Mundpropaganda-Experten. Bis Anfang letzten Jahres der Netzwerk-Theoretiker Duncan J. Watts auf den Plan trat und in einer viel beachteten Studie verkündete: Um soziale Epidemien loszutreten, sind Influentials überflüssig (Bericht bei Fast Company).
Watts entdeckte mit Hilfe von Computersimulationen, dass es für einen viralen Prozess weniger darauf ankommt, ob er von einer Gruppe mit besonderen persönlichen Eigenschaften ausgelöst wird . Viel entscheidender sei, dass eine kritische Masse an leicht zu beeinflussenden „Normalos“ erreicht werde, die für die Weiterverbreitung unter ihresgleichen sorgen. Ob und in welcher Weise diese Leute beeinflussbar sind, hängt Watts zufolge dabei ganz erheblich von den äußeren Umständen ab: Auch die Größe eines Waldbrandes habe schließlich wenig zu tun mit dem auslösenden Funken, aber sehr viel mit dem Zustand des Waldes.
Dass die Umfeldbedingungen über den Erfolg eines viralen Prozesses mitentscheiden, haben allerdings auch die Gurus des Viralen Marketings nie bestritten. Gladwell nennt „The Power of Context“ als eine von drei Säulen einer sozialen Epidemie – bei vm-people sprechen wir vom „Nährboden“.
Was lernen wir aus alle dem über die Chancen einer Wahlkampagne wie der von Matthias Platzeck, die sich auf Meinungsführer stützen will? Nun, es wird grundsätzlich nicht schaden, sich mit den besonders einflussreichen, stark vernetzten Bürgern des Landes gut zu stellen. Ob dadurch neue Trends losgetreten werden, kann mit Watts zumindest bezweifelt werden. Aber das dürfte auch gar nicht Platzecks Ziel sein. Schließlich lautet seine Botschaft als Amtsinhaber: Weiter so! Wie neueste Umfragen zeigen, wird die SPD sehr wahrscheinlich auch den nächsten Ministerpräsidenten in Brandenburg stellen. Deshalb dürfte Platzeck seine Multiplikatorentreffen vor allem zur allgemeinen Beziehungspflege nutzen, zum „freundlichen Plausch“ eben, um seine Sympathiewerte bei den Meinungsführern zu steigern. Die werden dann nett von ihm reden, wenn das Gespräch im Bekanntenkreis auf die Wahlen fällt.
Um auf breiter Basis neue Wähler zu gewinnen, dürfte diese Multiplikatoren-Strategie aber wohl nicht ausreichen. Schließlich kommt im viralen Prozess noch ein drittes Erfolgskriterium hinzu: Der Virus selbst – der „Stickiness Factor“ (Gladwell) – eine ansteckende Botschaft also. Dass Matthias Platzeck ein netter Kerl ist, mag beruhigend sein, mobilisierend oder gar ansteckend wirkt diese Botschaft jedoch eher nicht. Aber womöglich ist sein Vorsprung so komfortabel, dass es ausreicht, sich ruhig zu verhalten.
Die Forderung von Duncan Watts, virale Marketing-Aktivitäten nicht ausschließlich auf vermeintliche Influentials zu beschränken, hat einiges für sich. „Marketing Dollars might better be directed toward helping large numbers of ordinary people – possibly with web-based social networking tools – to reach and influence others just like them” schrieb er schon 2007 im Harvard Business Review. Dass das tatsächlich funktioniert, hat ein junger Herausforderer bei den US-Präsidentenwahlen gerade eindrucksvoll gezeigt. Obama hat Watts gelesen. Aber dass Multplikatoren für eine Kampagne überflüssig seien, ist damit aus meiner Sicht keineswegs bewiesen. Vielleicht ergeben sich im September 2009, wenn Brandenbrug wählt, schon wieder ganz andere Erkenntnisse.
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