Polit-Gezwitscher – Wie Politiker Twitter richtig nutzen

Die Diskussion über Sinn und Unsinn von Twitter läuft nun schon eine ganze Weile. Inzwischen haben auch eine Reihe deutscher Politiker den Miroblogging-Dienst entdeckt. Ein guter Zeitpunkt also, einmal genau hinzuschauen, wie Twitter in der politischen Kommunikation aktuell verwendet wird – und welche Möglichkeiten womöglich noch ungenutzt bleiben.

Zunächst aber ein paar grundsätzliche Gedanken zum Phänomen Twitter. Die Haltung der Twitter-Skeptiker ist weitgehend bekannt. Sie lässt sich knapp zusammenfassen: Alles überflüssig. Tatsächlich werden über Twitter überwiegend Trivialitäten ausgetauscht. Die meisten Botschaften (Tweets) kreisen um momentane BefindlichkeitenBeschäftigungen und Alltagsbeobachtungen. Wer soll sowas lesen – und warum?

Twitter-Fans sehen den Reiz des „Zwitscherns“ weniger im Inhalt der Nachrichten als in der Kommunikation an sich. Damit nehmen sie eine Theorie von Marshall McLuhan aus den Sechzigern auf, dessen berühmteste These lautet: „The medium is the message“. In seinem Buch „Understanding Media“ schreibt McLuhan: „Die Botschaft jedes Mediums oder jeder Technik ist die Veränderung des Maßstabs, Tempos oder Schemas, die es der Situation des Menschen bringt.“ Entscheidender als die Medieninhalte sind demnach also die persönlichen und sozialen Auswirkungen von Medien, die sich aus ihrer Anwendung ergeben. So hat laut McLuhan etwa die Eisenbahn den Menschen nicht in erster Linie Bewegung oder Transport von Gütern verschafft, „sondern das Ausmaß früherer menschlicher Funktionen vergrößert und beschleunigt und damit völlig neue Arten von Städten und neue Arten der Arbeit und Freizeit geschaffen“. (Marshall McLuhan, Die magischen Kanäle. Understanding Media. Basel 1995)Aber was ist – in McLuhans Sinne – nun die Botschaft von Twitter? Twitter schafft vor allem eines: Nähe. Ohne körperlich anwesend zu sein, bekommt man durch ständige 140-Zeichen-Updates über Aufenthaltort, Aktivitäten und Befindlichkeiten des Absenders ein Gefühl dafür, wie es ihm geht, was ihn beschäftigt, wie er tickt. Aus der bruchstückhaften Kommunikation ergibt sich ein differenzierter Gesamteindruck, der z.B. in einem Telefonat oder einer E-mail so nicht entstünde. Clive Thompson schreibt in WIRED, er habe beim Twittern ein fast „telepathisches Bewusstsein“ für andere entwickelt. Das Gefühl sei vergleichbar mit der Fähigkeit des Körpers zur Wahrnehmung der eigenen Gliedmaßen im Raum (sog. Propriozeption). Twitter erschaffe „soziale Propriozeption“, eine tiefgehende Sensibilität für andere und ein gemeinsames Verständnis, das größer ist als man selbst.
Was hat all das mit twitternden Politikern zu tun? Nun, sie sollten eines wissen: Wenn sie es ernst meinen mit Twitter, dann müssen sie Nähe zulassen. Natürlich eignet sich Twitter auch als Link-Schleuder für die eigenen Pressemitteilungen, Parlamentsanträge etc. Aber im Kern geht es darum, anderen offen zu legen, wer man ist.

Volker Beck von den Grünen scheint das verstanden zu haben. Im 3sat-Interview sagt er:
„Twitter verschafft Nähe zu den Leuten, die sich drum kümmern. Ich finde es wichtig, dass wir den Leuten, die wirklich ein echtes Interesse haben auch echte Kommunikationswege anbieten.“

Nicht so ganz begriffen hat das mit der Nähe offensichtlich Thorsten Schäfer-Gümbel, SPD-Spitzenkandidat bei der vergangenen Hessenwahl. Mit seinem für deutsche Verhältnisse recht elaborierten Online-Wahlkampf wurde er schon als Bembel-Obama gefeiert. Denn wie der US-Präsident twittert auch TSG. Auf seinen Namen liefen sogar zwei Twitter-Accounts, eines davon wurde allerdings inkognito von der TITANIC-Redaktion gepflegt. Doch wie sich gerade herausstellte, wurde auch das „echte“ Schäfer-Gümbel-Account nur sehr sporadisch von ihm selbst gefüllt. Offensichtlich verfassten Mitarbeiter den einen oder anderen Tweet in seinem Namen, auch wenn ein Wahlkampfberater lediglich „technische Hilfe“geleistet haben will.
Wie auch immer es im Einzelnen gewesen sein mag: Grundsätzlich gilt, dass Twitter von der Unmittelbarkeit lebt. Manche sprechen von Authentizität, ich nenne es Nähe. Wer sich als Politiker drauf einlässt, erhält mit Twitter neue Möglichkeiten, intensive Beziehungen zu seinen Unterstützern zu unterhalten. Das muss man wollen, schließlich kostet diese Art der Kontaktpflege Zeit, und Nähe kann auch extrem nerven. Aber der Gedanke, diejenigen ernster zu nehmen, die einem wohlgesonnen sind, scheint sich spätestens seit der Obama-Kampagne langsam durchzusetzen. Seien wir gespannt, wer der erste echte „Politiker zum Anfassen“ in Deutschland werden wird.

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