Brauner Bär, Weißes Kaninchen

Als die Arbeit getan, das letzte Chart aufgelegt und alle bunten Kärtchen beschrieben waren, wollten sich die Teilnehmer zur Erinnerung noch einmal mit dem heimlichen Star ablichten lassen. Mit seinem Spitzohr-Charme, hatte das Weiße Kaninchen im Rahmen des Workshops in Sinai, am Fuße der Karpaten, die Herzen des rumänischen Publikums erobert. An den beiden Tagen gab es leidenschaftliche Diskussionen bis spät in die Nacht, unfassbar deftiges Essen, schwangere Bräute, die auf Tischen tanzten und wilde Bären, die um das Hotel streunten. Aber von vorne …

Ende letzten Jahres erreichte mich eine Nachricht des rumänischen Verlegerverbandes. Für das Schulungsprogramm PRO-EDIT, kofinanziert von der Europäischen Union, wollte man mich als Referenten gewinnen. Die Einladung stammte von Marilena Iovu, Koordinatorin der auf drei Jahre angelegten Initiative, in ihrem Hauptberuf Foreign Rights-Verantwortliche bei Editura All. Frau Iovu hatte ich einige Monate zuvor am mediacampus frankfurt kennengelernt, wo ich einen äußert inspirierenden Nachmittag mit rumänischen Verlagsleuten verbracht hatte. Die Exkursion nach Rumänien passte hervorragend ins Bild meiner Forschungsreise, die ich für 2012 plante, deswegen nahm ich die Einladung mit großer Begeisterung an.

Am Donnerstag letzter Woche war es dann soweit und ich wurde am Flughafen in Bukarest in Empfang genommen. Von dort aus ging es mit dem Minibus nach Sinaia, einem beliebten Ausflugsziel neunzig Autominuten entfernt. Von meinem Zimmer im 7. Stock des Hotel Mara, bot sich mir ein imposanter Ausblick über die bewaldeten Berge. Die Ausmaße meines Hotelzimmers waren nicht minder atemberaubend. Ich hätte darin bequem einen Sektempfang für alle Seminarteilnehmer oder auch ein Badminton-Turnier ausrichten können. Zu Zeiten des kommunistischen Regimes war die Anlage ausschließlich Parteimitgliedern vorbehalten gewesen und da der ehemalige Regierungschef Ceauşescu die Neigung hatte, seine Macht durch eigentümliche Größenverhältnisse zu demonstrieren, kam ich mir in dem Ensemble etwas verloren vor.

(Foto: Marilena Iovu)

Allein, in meiner überdimensionierten Kommandozentrale, kamen mir leise Zweifel. Was wusste ich eigentlich über Rumänien und seine Verlagsbranche? Hatte ich mich genügend vorbereitet, hatte ich die richtigen Inhalte ausgewählt? Main Plan war, von meinen Erfahrungen aus Deutschland zu berichten, über Promotion und PR zu sprechen, über die Projekte die wir für die Verlage in den letzten Jahren umgesetzt haben. Aber waren meiner Beispiele überhaupt für den rumänischen Markt relevant?

(Foto: Marilena Iovu)

Zur Vorbereitung auf den Workshop hatte ich ein wenig recherchiert und war, dem Internet sei’s gedankt, auf eine aktuelle Studie des U.S Home Department gestoßen, die einige topgraphische Daten der Social Media Landschaft Rumäniens beinhaltet. Schon diese Informationen machten deutlich, dass in Rumänien völlig andere Rahmenbedingungen für die Verlagsarbeit vorherrschen. So liegt beispielsweise die Verbreitung des Internet mit knapp 33% deutlich unter dem europäischen Durchschnitt (60%). Die überwiegende Mehrheit der Nutzer stammt aus Bukarest und Umgebung. Und anders als in Deutschland wird das Internet überwiegend von Zuhause aus benutzt, nicht im Büro.

Ausgehend von dem Grundgedanken, dass Mitarbeiter in Verlagen, egal ob Publikums- oder Fachverlage sich künftig als Fanmanager wahrnehmen sollten, hatte ich ein Programm zusammengestellt, das einerseits Impulsvorträgen von meiner Seite vorsah und andererseits den Teilnehmern die Möglichkeit bieten sollte, im Sandkasten zu spielen und das erworbene Wissen im Zuge einer Praxissaufgabe unmittelbar anzuwenden. Schon in den ersten Sessions wurde deutlich, dass auch die rumänische Verlagsbranche große Unterschiede aufweist. Während man in Deutschland pro Jahr von rund 80.000 Neuerscheinungen ausgeht, sind es in Rumänien lediglich 8.000 Titel. Hierzulande spricht man von einem Bestseller, wenn von einem Taschenbuch mehr als 30.000 Exemplare verkauft werden. In Rumänien werden bereits 5.000 verkaufte Exemplare als Riesenerfolg gewertet. Marketing- und PR-Budgets sind entweder rar oder überhaupt nicht vorhanden.

Das wiederum fordert die Kreativität auf Seiten der rumänischen Verlage. Die neuen Medien spielen im Werben um die Lesergunst eine immer größere Rolle. Loredana Modoran, seit einem Jahr Social Media Managerin bei Editura All, berichtete beispielsweise von einer ganzen Reihe spannender Aktionen, die sich hauptsächlich auf Buch-Blogger bezogen: Book-Crossing, Schnitzeljagden, exklusive Premierenevents. Auch in Rumänien sind die Verlage also bestrebt Bücher jenseits der bloßen Lektüre zu Erlebniswelten auszubauen, um damit Leser zu gewinnen.

Meine anfänglichen Zweifel lösten sich glücklicherweise schon am ersten Workshop-Tag in Wohlgefallen auf. Der „Algorithmus“ der unserer Arbeit bei vm-people zugrunde liegt und den ich anhand von Beispielen vorstellte, stieß nicht nur auf allgemeines Interesse, sondern wurde von den Teilnehmern im Rahmen der Übung mit viel Einfallsreichtum umgesetzt. Aufgabe war es, in Gruppen, eine virale Kampagne für „Das alte Kind“ von Zoe Beck (Bastei Lübbe) für den rumänischen Markt zu entwickeln und abschließend zu präsentieren. Einzig die Simultanübersetzung bereitete mir anfänglich etwas Schwierigkeiten, was aber nicht an den beiden großartigen Übersetzern, sondern daran lag, dass ich offenbar eine Vorliebe für Bandwurm- und Schachtelsätze habe. Gewundert habe ich mich etwas über meinen kleinen Reisegefährten, das Weiße Kaninchen. Während der beiden Tage wusste ich oft nicht, wo es sich gerade herumtrieb. Erst nachdem mir einige Workshop-Teilnehmer im Anschluss ihre Fotos zugesandt haben, wurde mir Einiges klar: es war überall dort, wo gerade eine Kamera gezückt wurde. Nun denn, solange es keine Starallüren entwickelt, soll es mir recht sein.

Auch außerhalb des Seminarraums hatte ich in Sinaia eine erinnerungswürdige Zeit. Der Rundgang ums das Hotel zum Luftschnappen fiel zwar leider aus. Einerseits regnete es die meiste Zeit über in Strömen. Anderseits warnte ein Schild im Eingangsbereich vor gefährlichen Begegnungen mit Braunbären. Dafür gab es am Rande viele nette und interessante Gespräche mit den Teilnehmern, gutes Essen, Karaoke und mitreißend feiernde Hochzeitsgesellschaften mit ausgelassenen Bräuten. Marilena Iovo, liess es sich nicht nehmen mir am Tag meiner Abreise, einige Sehenswürdigkeiten zu zeigen. Den Höhepunkt bildete dabei der Besuch des Parlamentspalasts in Bukarest, den sich Ceauşescu in den 1980er Jahren errichten ließ das nach dem Pentagon, zweitgrößte Gebäude der Welt. Eine faszinierende und verstörende Erfahrung zugleich.

Frau Iovou, ihrem Mann und allen Teilnehmern des Workshops möchte ich ganz herzlich für diese bereichernde Erfahrung danken und dafür, dass ich zu Gast sein durfte. Es war eine schöne Zeit und ich komme gerne wieder!

(Foto: Marilena Iovu)

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