Die Wahrheit per SMS – mit den Neuen Sozialen Medien gegen Wahlbetrug

Heute vor zwanzig Jahren fanden die letzten Kommunalwahlen in der DDR statt. Viele Medien berichten in diesen Tagen, zum Beispiel gestern und heute morgen der Deutschlandfunk. Bei den Wahlen war es, wie bereits in den Jahren zuvor, zu massiven Wahlfälschungen durch die Behörden gekommen, die allerdings erstmals von Bürgerrechtlern öffentlich entlarvt wurden. Der Protest gegen die Manipulationen gilt als Meilenstein auf dem Weg zum Mauerfall.
Mich hat dieser Beitrag an einen Vortrag des südafrikanischen Professors Harry Dugmore  erinnert, den ich vor einigen Wochen Berlin erlebte. Dugmore legte dar, wie im südlichen Afrika mithilfe der neuen sozialen Medien gegen Wahlfälschungen vorgegangen wird. Ein Beispiel aus Ghana weist erstaunliche Parallelen zur DDR auf – und gibt Hoffnung, dass der technologische Wandel den demokratischen tatsächlich beschleunigt.
Das Wissen um Wahlfälschungen hat Bürger der ehemaligen DDR ihr Leben lang begleitet. Kaum jemand glaubte den offiziellen Zahlen, nach denen regelmäßig über 99 Prozent der Wahlberechtigten den Einheitslisten der SED ihre Zustimmung gaben. Das Problem der Oppositionellen lag darin, Wahlmanipulationen tatsächlich nachzuweisen. Dies war nur möglich, indem man in jedem Wahllokal die Stimmauszählung überwachte, die Ergebnisse zentral erfasste und veröffentlichte. Weniger ein Problem des politischen Willens also, sondern vielmehr eines der Logistik. Evelyn Zupke, Bürgerrechtlerin aus Berlin-Weißensee erinnert sich im Deutschlandfunk:„…das musste ja richtig gut vorbereitet sein, weil einfach nur so hingehen und dann hören und was aufschreiben, also das hätte ja nicht funktioniert. Also das haben wir richtig stabsmäßig organisiert.“Marianne Birthler beschreibt das Vorgehen im DLF-Interview so:„Wir haben uns oft gesehen, oft getroffen […]. Viele von uns hatten natürlich auch Telefone, wenn auch nicht alle, die eines wünschten. Wir haben dann […] sogenannte Kontakttelefone eingerichtet. Das heißt, eine Kirchengemeinde hat uns nachmittags, abends, am Wochenende ihr normales Gemeindetelefon zur Verfügung gestellt. Diese Nummer war vielen bekannt, und man konnte dort anrufen, sich Informationen holen. […] An den Tagen dann Anfang Oktober war dieses Telefon besonders wichtig, weil viele uns dort anriefen und uns mitteilten, wie viel Menschen an welcher Straßenecke gerade verhaftet und mit einem Lkw weggefahren worden sind, und so weiter. Das war also ein sehr wichtiges Kommunikationsmittel für uns.

Zwanzig Jahre später sind freie Wahlen sind noch immer nicht überall auf der Welt selbstverständlich. Aber Wahlfälschungen sind schwieriger geworden. Auch das hat mit dem Telefon zu tun.

Im Jahr 2008 fanden in Ghana Präsidentenwahlen statt. In einer Stichwahl standen sich die Kandidaten John Atta Mills und Nana Akufo-Addo gegenüber. Hier ging es also nicht um eine regierende Kaste, die ihren absoluten Herrschaftsanspruch verteidigen wollte, wie in der DDR. Die Sorge bestand eher darin, dass bei einem knappen Wahlausgang die eine oder andere Seite das Ergebnis nicht akzeptieren würde. In Nigeria und Kenia hatte es in ähnlichen Situationen nach Wahlen Unruhen gegeben. Die Präsidentenwahl in Ghana ging tatsächlich denkbar knapp aus: Atta Mills gewann mit 50,23 Prozent gegen Akufo-Addo mit 49,73 Prozent. Beide Kandidaten akzeptierten das Ergebnis noch am selben Tag. Kein Vorwurf des Wahlbetrugs, keine Aufstände, kein Chaos. Warum?

Grund für die ungewöhnliche Einigkeit war laut Prof. Dugmore ein Bündnis von 34 NGOs, die im Vorfeld der Wahl eine Kampagne zur Wahlbeobachtung geführt hatten. Insgesamt 4.000 Wahlhelfer wurden öffentlichkeitswirksam rekrutiert und geschult. Sie sollten in zufällig ausgewählten Wahllokalen die Auszählung beobachten und die Daten per SMS an eine Zentrale melden. Die Zahlen wurde hochgerechnet, so dass innerhalb weniger Stunden das Ergebnis der Wahl feststand. Die NGOs hielten sich mit der Veröffentlichung zunächst zurück, bis die Behörden den Wahlausgang offiziell verkündet hatten. Dann bestätigten sie die Übereinstimmung mit Ihrem Ergebnis.
Noch vor wenigen Jahren wäre eine solche Geschichte unmöglich gewesen – schon aus technischen Gründen. In der DDR gab es im letzten Jahr ihres Bestehens rund 1,8 Millionen Telefonanschlüsse (Festnetz!). In Ghana hat inzwischen mehr als jeder zweite Ghanaer ein Mobiltelefon, bis 2012 sollen zwei Drittel aller Afrikaner ein Smartphone mit Internetanschluss besitzen. Schon jetzt gehen doppelt soviele von ihnen per Handy ins Internet als per Computer. „Das Mobiltelefon verändert alles“, so Harry Dugmore.

Der Südafrikaner ist überzeugt, dass es eine direkte Verbindung gibt zwischen der Nutzung der Neuen Medien und der fortschreitenden Demokratisierung. Seit 1991 habe sich die Zahl der Demokratien in Afrika von 7 auf heute 35 verfünffacht. Auch wenn Medienvielfalt und Internetzugang noch immer unterentwickelt seien – Dugmore ist optmistisch: “Man kann nicht Millionen Menschen stoppen, die die Wahrheit per SMS versenden.”
Der Vortrag von Harry Dugmore enthält noch mehr interessante Gedanken und Beispiele, wie Social Media die Demokratisierung in Afrika vorantreiben. Das Beispiel Ghana findet sich ca. zwischen Minute 3:00 und 16:00.

 

„Die Wahrheit per SMS – mit den Neuen Sozialen Medien gegen Wahlbetrug“ vollständig lesen

Prof Harry Dugmore – Keynote at Inwent / FAZ Conference „Election Times“ from IIJ Inwent on Vimeo.

Foto: Deutsches Rundfunkarchiv, http://1989.dra.de/themendossiers/politik/kommunalwahl.html

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