Ran an den Bürger – wie Wahlkampf 2.0 vor Ort aussehen könnte

Wenn über „Wahlkampf 2.0“ geschrieben wird, ist meist die „große Politik“ gemeint: der Auftritt der Parteien und ihres Spitzenpersonals bei Bundes- oder Landtagswahlen stehen im Fokus der Medienberichterstattung. Mir fehlt dabei der Blick auf individuelle Kandidaten, auf die Einzelkämpfer, die sich in ihrer Gemeinde um ein Parlamentssitz oder ein Bürgermeisteramt bewerben. Aus meiner Sicht ermöglicht das Internet gerade auf kommunaler Ebene ganz neue Formen der Kampagnenführung. Und ich frage mich: Wo sind die Lokalpolitiker, die das Web 2.0 für den Wahlkampf entdeckt haben? Oder wird darüber einfach nicht berichtet? Ich habe mir deshalb ein paar Gedanken gemacht, wie Wahlkampf 2.0 vor Ort aussehen könnte.

Aus meiner Sicht ist die sog. „Bürgernähe“ gerade bei direkt gewählten Politikern wie Wahlkreisabgeordneten oder Bürgermeistern die alles entscheidende Währung. Nicht umsonst heißt es auf Plakaten zur Bundestagswahl immer wieder: „Unser Mann in Berlin!“ Einer Kanzlerin wird man noch zugestehen, dass sie nicht jede Bürgeranfrage selbst beantworten kann. Vom eigenen Mann in Rathaus oder Bundestag  erwartet man aber schon eher, dass er ansprechbar ist.

Während sich ein Kandidat früher praktisch ausschließlich über öffentliche Auftritte sowie über über die Lokalpresse einen Namen machen konnte, bietet das Internet heute ungeahnte Möglichkeiten, mit den Bürgern in Kontakt zu treten. Hier ein paar Beispiele:

 

1.    Online-Videos

Bisher war es aus Kosten- und aus Distributionsgründen undenkbar, dass z.B. ein Direktkandidat für den Bundestag Wahlspots produzierte. Heute lässt sich für ein paar Hundert Euro die notwendige Ausstattung zusammenstellen – die „Ausstrahlung“ eines Spots über Youtube ist ohnehin kostenlos. Ein paar technikaffine Wahlkampfhelfer können da einiges auf die Beine stellen. Denkbare Videoformate sind z.B.:

Biopic: Wer ist der Kandidat, wie lebt er, wo kommt er her?
Themen-Video: Wie sieht das Wahlprogramm aus, welche Projekte sind geplant?
Gotcha-Video: Wo liegen Angriffspunkte des Gegenseite? Bilder des Gegners in unvorteilhaften Momenten sprechen Bände (s. sog. „Macaca-Moment“)
Kampagnen-Logbuch: Mit Infoständen, Reden und Podiumsdiskussionen lassen sich nur wenige Menschen direkt erreichen – Videos von öffentlichen Auftritten erweitern das Publikum!
Testimonials: Bürger/Prominente aus der Region, die sich vor der Kamera zu ihrem Kandidaten bekennen, erhöhen dessen Renommé
Medien-Nachlese: Positive TV-Berichterstatttung schafft Glaubwürdigkeit und bietet sich zur Zweitverwertung an
User-Videos: Aufrufe zum Einstellen nutzergenerierter Beiträge zeugt von Offenheit und intensiviert den Kontakt zu Unterstützern

 

 

2.    Blogs

Blogs bieten eine gute Möglichkeit, Transparenz über die eigenen Wahlkampfaktivitäten
herzustellen. Eine tägliche Berichterstattung darüber, wo sich der Kandidat aufhält und was er erlebt, helfen dem Wähler dabei, sich ein Bild zu machen. Mit der Kommentarfunktion besteht ein Rückkanal für den  Dialog zwischen Bürger und Kandidat.

 

 

3.    Twitter

Noch mehr Unmittelbarkeit als ein Blog schafft der Microblogging-Dienst Twitter. Twitter schafft – wie schon an anderem Ort beschrieben – vor allem Nähe und ein Gefühl dafür, wie der andere „tickt“. Die Beschränkung auf 140 Zeichen erspart dem Kandidaten zudem den Zwang zu ausufernden Erläuterungen. Twitter bietet sich außerdem an, um schnell auf Geschehnisse zu reagieren bzw. um andere Aktivitäten des Kandidaten zu promoten: Wo ist der Kandidat heute anzutreffen? Was berichten die Medien, was erwidert der Kandidat? Welche neuen Videos/Blogbeiträge gibt es?

4. Soziale Netzwerke

Eine Grundregel der politischen Kommunikation lautet: Warte nicht, bis die Leute zu dir kommen, sondern gehe dorthin, wo die Leute sind. Das gilt auch und gerade für das Internet. Einfach eine Webseite online zu stellen und auf Besucher zu hoffen, reicht nicht aus. Sinnvoller ist es, vielbesuchte virtuelle Orte aufzusuchen und Nutzer aktiv anzusprechen. Da geraten zunächst Facebook und Konsorten in den Sinn, besonders auch „Wer kennt wen?“, ein in Deutschland ansässiges Social Networking-Projekt, das sehr stark regional verwurzelt ist. In den meisten dieser Netzwerke finden sich Gruppen aus der jeweiligen Stadt oder Gemeinde, die gemeinsame Interessen teilen (darstellende Künstler aus Heidelberg, Tattoo-Liebhaber aus Fulda etc.) und sich über die Aufmerksamkeit aus der Politik bestimmt freuen. Eine andere Möglichkeit ist es, direkt die Webseiten lokaler Organisationen und Vereine anzusteuern und dort digitale Spuren zu hinterlassen. Ein Glückwunsch im Forum des Fußballclubs zum gewonnen Meisterschaftsspiel z.B. zeugt von Interesse und schafft den Anlass für ein Gespräch. Mehr wird von einem engagierten Kandidaten kaum jemand erwarten.

5.    User-generated campaigning

Die klassische Lokal-Wahlkampf setzte in den letzten Jahrzehnten vor allem auf zwei Kommunikationsmittel: das Wahlplakat am Laternenmast und den Infostand in der Fußgängerzone. Was diese Maßnahmen tatsächlich beim Wähler bewirken, weiß niemand so ganz genau. Aber weil’s der eine tut, machen eben alle mit. Zudem sind Plakatieren und Zettel verteilen „gelernte“ Verhaltensweisen für die Parteibasis, sich im Wahlkampf zu engagieren. Es handelt sich mindestens ebensosehr um interne Rituale der gemeinschaftlichen Selbstvergewisserung wie um strategische Operationen mit dem Ziel der Außenwirkung. In Zeiten, wo das politische Engagement auch innerhalb der Parteien wegbricht, bleibt allerdings nur, Leute von außen zum Mitmachen zu motivieren. Dies gilt verstärkt für unabhängige Kandidaten, die auf überhaupt keine Parteibasis zurückgreifen können. Ein solches Mitmach-Angebot ist aber nur dann attraktiv, wenn sich die angesprochenen Bürger mit eigenen Ideen an der Kampagne beteiligen können.

Denkbar ist zum Beispiel, Wahlplakate, -flyer oder Aufkleber lediglich vom Kampagnenlayout her vorzufertigen und zum Download anzubieten, so dass interessierte Bürgern sie individuell mit selbsterdachten Botschaften vervollständigen können. Oder die Unterstützer über Ort und Zeit der öffentlichen Auftritte des Kandidaten mitentscheiden zu lassen. Oder, oder, oder…

Entscheidend wird sein, dass eine solche Kampagne mit echtem Interesse auf Wähler zugeht, um ihre Unterstützung wirbt und dabei Offenheit und Transparenz ausstrahlt. Das macht aus mehreren Gründen Sinn: Der simpelste ist, dass man als konsequenter Kandidat 2.0 im Vergleich zu den Konkurrenten noch den „First-mover advantage“ besitzt und vielleicht sogar Schlagzeilen machen kann. Zum zweiten gibt es gerade auf lokaler Ebene unter interessierten Bürgern häufig einen echten Informationsbedarf was politische Themen betrifft. Denn auch wenn das Rathaus um die Ecke liegt, ist der Normalbürger über die Vorgänge im Kanzleramt oft besser informiert. Ein Politiker, der zugänglich ist für Nachfragen kann da leicht punkten. Zum dritten ist es für politisch Interessierte attraktiv, sich gerade für einen solchen Kandidaten vor Ort zu engagieren. Kommunalpolitik ist konkret und handfest, die Ergebnisse sind unmittelbar sichtbar und wirken sich auf die eigene Lebensituation aus. Alles spricht also dafür, den Schritt in Richtung Bürger zu wagen.

„Ich habe angefangen, mich für Politik zu interessieren, als die Politik begonnen hat, sich für mich zu interessieren”, las ich einmal von einer Mutter von vier Kindern, die zuvor nie mit Politik zu tun hatte. Wer diesen Satz im Hinterkopf hat, macht anders Wahlkampf als früher. Und es spricht einiges dafür, dass er auch erfolgreicher sein wird.

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