Dabeisein oder schöner Schein? – Online-Videos als Wahlkampf-Instrument

Wer kennt ihn nicht, diesen Satz. Alle vier Jahre hört man ihn, immer kurz vor der Tagesschau, immer am Ende eines Wahlwerbespots: „Für den Inhalt der Wahlwerbesendungen sind die Parteien verantwortlich.“ Dieser Satz gilt nicht mehr. In Zeiten von Youtube und billiger digitaler Videotechnik haben die Parteien ihr Sendemonopol verloren. Heute ist jedermann ein potentieller politischer Filmemacher.

Interessant ist zu beobachten, wie die deutschen Parteien mit der neuen Situation umgehen. Wenn die Zugangshürden für die Produktion von Online-Videos sinken, steigt nämlich gleichzeitig der Erwartungsdruck an die Parteien, mit eigenen Angeboten Präsenz zu zeigen. So haben denn auch alle im Bundestag vertretenen Parteien eigene Portale auf Youtube eingerichtet. Die dahinter steckende Strategie wird nicht in jedem Fall deutlich. Deshalb im Folgenden ein paar Gedanken und Beispiele, wie sich Online-Video sinnvoll und effektiv in eine Wahlkampagne integrieren lässt.

Vom Einheitsbrei zum Medium der Vielfalt

Im Unterschied zu den altbekannten Wahlspots im Fernsehen ermöglichen Online-Videos eine viel differenziertere Ansprache unterschiedlichster Zielgruppen. Einen Fernsehspot zu produzieren ist aufwändig und teuer, die Möglichkeit ihn zu versenden auf wenige Programmplätze beschränkt. Klar, dass dabei Massenware herauskommt, die möglichst viele ansprechen soll und dabei die meisten langweilt. Online-Videos hingegen können billig produziert und kostenfrei distribuiert werden. So lassen sich auch für kleine Zielgruppen maßgeschneiderte Video-Botschaften entwickeln. Es gilt die Regel: Auch wenn nur ein paar Hundert Leute einen Clip sehen, kann das ausreichen – solange es die Richtigen sind.

Von der Selbstgespräch zum Dialog

Im Zuge des Wandels vom Massen- zum Nischenmedium ändert sich auch der Kommunikationsstil. Je mehr sich die Zielgruppen ausdifferenzieren, desto spezifischer und persönlicher sollte man sie ansprechen. Online-Videos eignen sich nicht, um die Bürger mit dem üblichen Wahlkampfgewäsch zu berieseln – davon bekommt man im Fernsehen genug. Richtig eingesetzt, eröffnen Online-Videos einen Dialog mit dem Nutzer und beziehen ihn aktiv ein.

Von der Push- zur Pull-Werbung

Schon wer sich die unterschiedlichen Rezeptionssituationen vor Augen führt wird erkennen, dass Online-Video und Parteienwerbung im Fernsehen eine grundsätzlich andere Ansprache verlangen. Während der Fernsehzuschauer beim Warten auf die Tagesschau eher unfreiwillig von (irgend-)einem Parteienspot überrascht wird, entscheidet der Online-Nutzer bewusst und freiwillig, sich ein politisches Video einer ganzen bestimmten Partei anzuschauen. Dabei kann man davon ausgehen, dass er dieser Partei bereits relativ nahe steht. „Umfragen zeigen nämlich, dass es nicht die unentschlossenen Wähler sind, die politische Websites besuchen, sondern Wähler mit einer starken Parteibindung, die bereits entschiedene politische Ansichten haben“, so zitiertTobias Moorstedt den amerikanischen Kommunikationsforscher Matthew Hindman.

Von der Haupttribüne in die Fankurve   

Damit ist die wohl wichtigste Zielgruppe politischer Online-Kommunikation definiert: die Fans bzw. Unterstützer eines Kandidaten oder einer Partei. Bei diesen Leuten gibt es nicht nur die Hoffnung, dass sie selbst das Kreuz an der richtigen Stelle machen werden, es besteht sogar die Chance, dass sie die Botschaft weitertragen und Menschen im persönlichen Umfeld von ihrer Wahlentscheidung überzeugen. Im Idealfall bietet ein Online-Video diesen Unterstützern zweierlei: Argumente und Aktion. Denn auch wer einer Partei bereits nahesteht, möchte in seiner Wahlentscheidung bestätigt werden. Außerdem benötigt er „argumentative Munition“, wenn er sich im Bekanntenkreis für seine Partei verwenden  soll – sei es im Gespräch oder durch Weiterleiten des Videos. Auch und gerade ein Online-Video, das sich an Unterstützer richtet, sollte deshalb eine handfeste Botschaft enthalten, die der Rede wert ist – Humor natürlich nicht ausgeschlossen. Zweitens suchen Unterstützer eher als Unentschiedene nach klaren Angeboten, wie sie sich beteiligen können. Ein Video, das am Ende auf einen „Mach mit!“-Link oder zumindest einen „Tell a friend“-Button verzichtet, ist eine vergebene Chance.

Ein schönes Beispiel, für ein aktivierendes politisches Video war der von moveon.org „gefälschte“ Nachrichten-Clip, in dem ein einzelner namentlich genannter Wähler – in diesem Fall ich – für eine Wahlniederlage Obamas verantwortlich gemacht wird. Das Video ließ sich als personalisierte E-mail an Freunde weiterleiten, deren Name dann im Clip auftaucht – ein extrem starker Anreiz zum Weiterleiten.

Wie nüchtern ein erfolgreiches Online-Video dagegen auch sein kann, hat wiederum Barack Obama gezeigt, dessen Rede über die Rassenproblematik Rede „A more perfect Union“  innerhalb nur eines Tages von über einer Million Menschen online gesehen wurde.

Dies zeigt: Wer etwas zu sagen hat, dem schauen die Leute auch zu, sogar über eine Länge von mehr als einer halben Stunde. Der Beitrag ist übrigens durchaus exemplarisch für Obamas Video-Wahlkampf. Dieser war überwiegend getragen von Live-Mitschnitten aus Obamas Reden sowie einer ganzen Anzahl klassischer Image-Spots, die auch im Fernsehen liefen.

Innovative, spektakuläre Beiträge stammten eher nicht aus der Wahlkampfzentrale. Insgesamt wurden 9 der 10 beliebtesten US-Wahlkampfvideos auf YouTube von privaten Usern erstellt, nur eines kam von einer professionellen Agentur. So auch der „Yes We Can“-Musikclip, das wohl bekannteste Wahlvideo, mit dem Will.I.am weltberühmt wurde und zugleich einen Kampagnenslogan prägte:

Ein innovatives Video-Format, von dem Obama stark Gebrauch machte, ist der sog. Howcast. Diese Clips geben freiwilligen Wahlkampfhelfern detaillierte Tipps, wie sie die Kampagne unterstützen können. Hier ein Beispiel:

Wie Videos genutzt werden können, um politische Inhalte anschaulich zu vermitteln, zeigt dieser Clip, der Obamas Programm zur Konjunkturbelebung erklärt:

How To Understand the Federal Stimulus Package on Howcast

Nachdem wir gesehen haben, was möglich ist, nun ein kurzer Blick auf das, was die deutschen Parteien auf dem Gebiet der Online-Videos bisher zu bieten haben. Netzpolitik.org hat gerade eine neue Kurzstudie veröffentlicht, in der auch die Aktivitäten auf Youtube untersucht werden. Frank Lisowski hat zum gleichen Thema ebenfalls eine Analyse veröffentlicht, auf die ich gern verweise

Im Ergebnis zeigt sich, dass die großen Parteien offensichtlich nicht mehr darauf verzichten wollen, im Web 2.0 präsent zu sein. Allerdings scheinen sie noch nicht bereit, sich wirklich auf den Dialog mit den Nutzern einzulassen. Es bleibt bei zaghaften Öffnungsversuchen, wenn etwa die CDU in der Videoserie „Nahaufnahme“ einen Blick hinter die Kulissen des Adenauerhauses gewährt. Oder wenn die SPD bei der Suche nach einem Logo für den Kanzlerkandidaten (wofür braucht der eigentlich ein Logo?) die Community einbezieht.

Der bisher ungewöhnlichste deutsche Online-Wahl-Spot, den ich gesehen habe, stammt von der Saar-SPD. In einem aufwändig inszenierten Clip in Computerspiel-Optik liefern sich CDU-Amtsinhaber Peter Müller und Linken-Chef Lafontaine ein virtuelles Autorennen. Abgesehen von einigen Anspielungen (Müller zerlegt einen Kohleförderturm und ein Verkehrsschild mit der Aufschrift „Schule“) bleibt mir die inhaltliche Aussage ziemlich schleierhaft. Am Ende fordert SPD-Spitzenkandidat Heiko Maas lapidar: „Stoppt die Raserei!“

Am Ende bleibt die Vermutung, dass solche Aktionen weniger auf die eigentlichen Internetnutzer zielen als vielmehr auf Vertreter der klassischen Medien. Von einer Berichterstattung in Print und TV über ihre vermeintlich modernen Youtube-Kampagnen versprechen sich die Parteien womöglich mehr als von ihren Online-Aktivitäten selbst. Damit bestätigen sie ein Vorurteil, das sie gerade auszuräumen suchen: Im Wahlkampf zählt vor allem eins – der schöne Schein.

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