Immersive Markenführung
am Beispiel der ERBEN Rooftop Winebar (Fallstudie)

Der Zustand der Immersion, das heißt die Erfahrung des Eintauchens und Aufgehens in einer Welt oder in einer Tätigkeit, übt seit jeher einen enormen Reiz auf Menschen aus. Etymologisch verweist das lateinische Wort „immersio“ auf eine physische Erfahrung des Ein- bzw. Untertauchens in eine Flüssigkeit. Aus kunsthistorischer Perspektive betrachtet, lassen sich publikumswirksame Immersionsstrategien bereits bis in die Antike zurückverfolgen. So manifestierte sich das Bedürfnis der Menschen nach räumlicher Umschließung bereits in Fresken des alten Pompejis, die Illusionsräume griechischer Mythologie entstehen ließen.

Woher stammt das Bedürfnis nach Immersion?

Der Medienarchäologe Erkki Huthamo sieht die Ursache im angeborenen Streben nach Naturalismus, das im Idealfall zur Aufhebung des Unterschieds zwischen der Realität und ihrer Abbildung führt. Als weiterer möglicher Antrieb kann die Ablenkung vom eigenen Alltag gesehen werden. Schon bis ins Mittelalter zurückzuführende Jahrmärkte mit Attraktionen wie Schlangenmenschen ermöglichten den Besuchern ein Eintauchen in fremde Welten und damit einhergehend einen Kontrast zum eigenen Alltag und intensive emotionale Erlebnisse.  

In modernen Freizeitparks wie Disneyland, die ab Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden, erleben Besucher künstlich geschaffene Attraktionen , die ebenfalls Simulationscharakter haben. „Für das Fahrgeschäft typische mechanische Achterbahnen zielen darauf ab, durch Bewegungssensationen ein Delirium der Sinne mit bestimmten kognitiven und emotionalen Bewusstseinszuständen zu erzeugen. All diese zu ihrem Auftretenszeitpunkt neuen, kulturellen Formen lassen sich mit der Metapher des Reisens und der entsprechenden Neuverortung des Körpers beschreiben.“, wie Katharina Schuster in ihrer Schrift „Einfluss natürlicher Benutzerschnittstellen zur Steuerung des Sichtfeldes und der Fortbewegung auf Rezeptionsprozesse in virtuellen Lernumgebungen“ beschreibt.

Immersion in der Markenführung

Wenn man sich dieses Verständnis zu eigen macht, dann sind immersive Erlebnisse intensive, emotionale Trips, die bei den Menschen, die diesen Zustand erreichen nicht selten eine transformierende Wirkung entfalten. Nach dem Auftauchen und der Rückkehr in ihre gewohnte Welt verändert sich die Perspektive, das Bewusstsein, die Einstellung und nicht selten auch das Verhalten. Dieser Effekt macht das Phänomen der Immersion für die Markenführung interessant, zum Beispiel, wenn es um die Einstellungs- und Verhaltensänderung eines neuen, bislang nicht erreichten Zielpublikums geht.

Folgerichtig verfolgen viele Unternehmen bereits eigene Immersionsstrategien für ihre Marken. Unter Begriffen wie Immersive Marketing oder Immersive Branding erschaffen Unternehmen wie Coca Cola oder Cadbury spektakuläre Markenwelten, in die ihre Kunden komplett eintauchen können. Häufig werden dabei virtuelle und Offline-Welten miteinander zu einem multisensorischen Erlebnis verknüpft. So ließ beispielsweise das britische Modeunternehmen Topshop vier glückliche Fans, die im Schaufenster einer Filiale positioniert und mit VR-Headsets ausgerüstet wurden, eine Show im Rahmen der Londoner Fashion Week live miterleben.

Neue, moderne Technologien wie VR sind jedoch keineswegs die Voraussetzung für die Erschaffung von immersiven  Welten. Wie das konkret gelingen kann, zeigt die ERBEN Rooftom Winebar. Für die traditionsbewusste Weinkellerei F. W. Langguth Erben, ansässig an der Mosel in Traben-Trarbach, haben wir zwei Monate lang eine Pop-up-Bar im Berliner Weser-Kiez betrieben.

Neukölln liegt an der Mosel

Die ERBEN Rooftop Winebar: Neukölln liegt an der Mosel

Das Projekt rief bei den Gästen von Anfang an große Begeisterung hervor und war gemessen an den gesteckten Zielen ein herausragender kommunikativer Erfolg. Aus der Summe unserer Erfahrungen in diesem Projekt haben wir sieben Faktoren abgeleitet, die bei der immersiven Markenführung generell von Bedeutung sind.

1. Threshold

Den Menschen muss deutlich werden, dass sie zu Beginn der Erfahrung eine Schwelle überschreiten und von ihrem Alltag in eine andere Realität hinüberwechseln. Dieser Übergang kann durch Distinktionsmerkmale geprägt sein, zum Beispiel durch geheime Symbole, die nur Eingeweihte erkennen.

Der Zugang zur ERBEN Rooftop Winebar erfolgte über den sogenannten „Weinstieg“. Anstelle eines Aufzugs mussten die Besucher die Treppen in den fünften Stock des Gebäudes nehmen. Während des Aufstiegs wurden den Besuchern mittels einer Bildergalerie Eindrücke vom heimischen Weinberg und Informationen zur Weinherstellung vermittelt. Durch diese Art der Inszenierung wurde den Gästen das Gefühl gegeben, tatsächlich einen Weinberg zu besteigen. Die Transformation von der Alltagsrealität auf der Straße in die Welt der ERBEN Rooftop Winebar wurde somit visuell und körperlich erfahrbar.


Der „Weinstieg“ als Übergang in die ERBEN Rooftop Winebar

2. Rules

Die im Rahmen eines immersiven Erlebnisses erschaffene Realität muss sich von der alltäglichen Erfahrungswelt der Menschen unterscheiden, beispielsweise durch besondere Regeln. Wichtig ist, dass diese Regeln von Anfang an klar kommuniziert werden und dass sie in sich konsistent sind. Regelbrüche reißen die Menschen aus der Immersion und führen zur Irritation und Frustration. Je einfacher und merkfähiger diese Regeln sind, desto wirksamer ist auch die Mundpropaganda im Anschluss an die Markenerfahrung.

Über die wichtigste Regel in der ERBEN Rooftop Winebar wurden die Besucher gleich am Eingang aufgeklärt – das Pay-as-you-Like-Prinzip: Gegen einen Obolus von 3,00 € konnten die Gäste ihr Weinglas so oft füllen wie sie wollten. Beim Verlassen der Bar wurden sie um eine Spende gebeten.

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Die wichtigste Regel in der ERBEN Rooftop Winebar: Das Pay-as-you-Like-Prinzip

3. Stories

Sämtliche erlebbaren Artefakte der immersiven Welt sollten einem roten Faden, einer authentischen und emotionalen Brand-Story folgen. Die aufgespannte Erzählwelt rund um die Marke sollte ihre Werte und ihre Kultur auf möglichst eingängige und emotionale Weise reflektieren. Den Stoff für solche Erzählungen bieten beispielsweise Stories über den oder die Gründer, spannende Kapitel aus der Unternehmenshistorie oder Mitteilenswertes über die Produkte und ihre Entwicklung.

Ein wichtiges Inszenierungselement der ERBEN Rooftop Winebar war die ERBEN Ahnengalerie, welche die lange Tradition und die Geschichte des Unternehmens veranschaulichte. Gleichzeitig wurde dem Besucher die Chance eröffnet, selbst ein Teil der ERBEN Markenwelt zu werden. Wer ein Selfie aus der Bar auf Instagram hoch lud und mit dem Hashtag #erbenroof versah, konnte sich selbst einen Platz in der Galerie verschaffen. Der Markenkern wurde auch im Rahmen der sogenannten ERBEN Experience inszeniert. Dabei erhielten die Gäste lehrreiche Einblicke in die Markengeschichte und die Weinherstellung. Abgerundet wurde die 45-minütige Tour, die von einem Mitarbeiter des Unternehmens geleitet wurde, durch eine Weinprobe.

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Präsentation der ERBEN Ahnengalerie während der „ERBEN Experience“

4. Place

Die Bühne für die Inszenierung und das Storytelling der Marke bildet der Ort. Dieser Ort muss mit dem Erzählten konsistent sein und dem Erlebenden den Eindruck vermitteln, sich in einer anderen Welt zu bewegen – egal ob der Ort in der physischen oder in der virtuellen Welt angesiedelt ist beziehungsweise ob es sich um eine Eventlocation oder um eine Landingpage handelt.

Durch die detailfreudige Ausstattung wurde dem Besucher der ERBEN Rooftop Winebar der Eindruck vermittelt, auf einem Weinberg an der Mosel zu sein. Als markanteste Elemente stachen vor allem die 40 Jahre alten Rebstöcke hervor, die als Raumteiler eingesetzt wurden. Gleichzeitig wurden Stilelemente wie Weinkisten aufgegriffen, die dadurch eine Verbindung zwischen der Bar und ihrem Standort herstellten – dem hippen Berliner Bezirk Neukölln.

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Blick über die ERBEN Rooftop Winebar

5. Participation and Roles

Das immersive Erlebnis wird aktiv durch den Erlebenden mitkonstruiert. Daher ist es von großer Bedeutung, diverse Rollenangebote zu machen und den Menschen die Möglichkeit zu geben, damit ihre Funktion und den Grad ihres Involvements selbst zu bestimmen. Insbesondere die Wahl der Eintauchtiefe ist wichtig. Während manche Menschen eine Markenwelt und das durch sie vermittelte Erlebnis aktiv mitbestimmen möchten, bleiben andere grundsätzlich lieber in der Rolle des Zuschauers.

Eine besondere Rolle in der ERBEN Rooftop Winebar nahm die ERBEN Gemeinschaft, die Brand-Community der Marke, ein. Der besondere Status der Mitglieder wurde beispielsweise durch die dauerhafte Reservierung eines „Stammtisches“ verdeutlicht. Aktive Community-Mitglieder und Wiederholungsbesucher nahmen die Rolle von „Botschaftern“ ein und erklärten Neuankömmlingen die besonderen Regeln der ERBEN Rooftop Winebar.

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Der vollbesetzte Stammtisch in der ERBEN Rooftop Winebar

6. Senses
Um die Illusion einer anderen Realität zu vermitteln und um das vollständige Eintauchen zu fördern, ist es von Vorteil, wenn im Rahmen der Markenerfahrung, möglichst viele Sinne angesprochen werden.

In der ERBEN Rooftop Winebar waren die Produkte, die ERBEN Weine, mit all ihren sinnlichen Attributen erfahrbar. Der Besucher konnte Informationen zur Herstellung einholen, Weinreben betrachten und befühlen, sowie den Wein selbst riechen und schmecken.

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Schmecken, tasten, riechen – ERBEN Wein als multisensorisches Erlebnis

7. Return

Die intensiven Eindrücke einer immersiven Markenwelt wirken im Idealfall weit über das Erlebnis selbst hinaus und bleiben lange in Erinnerung. Die Erfahrung kann zum Beispiel durch Erinnerungsstücke aufrechterhalten werden, die der Erlebende mitnehmen kann, wenn er in seine vertraute Welt zurückkehrt.

So konnte jeder Besucher der ERBEN Rooftop Winebar sein Weinglas mit nach Hause nehmen. Das Glas weckt bei jedem Gebrauch die Erinnerungen an die Weinbar und wirkt sich dadurch positiv auf die nächste Kaufentscheidung am Supermarktregal aus.

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Das Glas zum Mitnehmen nach Hause

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